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Erinnerung sichtbar machen: Verlegung von Stolpersteinen am 02. April 2025 in Laufenselden

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Titelfoto: Stolpersteine zum Gedenken an die Ehel. Ehrenfeld, R.-D.-Straße

Bilder: Dr. Silke Meyer-Arndt, Ulrich Eschenauer
Bericht: Selenka Reschke, Gemeinde Heidenrod

Die Verlegung von Stoplersteinen am 02. April 2025 und das verbundene Rahmenprogramm wurde von der Gemeinde Heidenrod koordiniert und geleitet. Die Realisation erfolgte in Kooperation mit dem Heimatverein Heidenrod e.V., der Kulturvereinigung Heidenrod e.V., den ev. und kath. Kirchengemeinden Heidenrods, sowie mit Beteiligung des Ortsbeirates Laufenselden und freundlicher Unterstützung des Fördervereines Barockhaus Laufenselden e.V. .

Mit der Verlegung von Stolpersteinen erinnert die Gemeinde Heidenrod gemeinsam mit beteiligten Akteuren, Bürgerinnen und Bürgern, sowie eigens angereisten Gästen an die Opfer des Nationalsozialismus – ein Zeichen gegen das Vergessen.

Am 02. April 2025 wurden in Heidenrod-Laufenselden 6 Stolpersteine, sowie ein sog. Kopfstein verlegt. Die kleinen Gedenktafeln aus Messing erinnern an Menschen, die während der NS-Zeit verfolgt, deportiert und/oder ermordet wurden. Das Projekt „Spuren Stolpersteine“, initiiert vom Künstler Gunter Demnig, macht Geschichte im öffentlichen Raum sichtbar – direkt vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Opfer.

Hintergrund „Spuren Stolpersteine“:
Die Stolpersteine sind Teil eines europaweiten Kunst- und Erinnerungsprojekts, das 1992 begann. Inzwischen liegen über 100.000 Steine in zahlreichen Ländern. Jeder Stein trägt Name, Geburtsjahr sowie Schicksal der betroffenen Person. In Heidenrod-Laufenselden wird nun mit der aktuellen Verlegung an 6 weitere Opfer, sowie die ehemalige Synagoge, erinnert.

Gunter Demnig bei der Verlegung in der R.-D.-Straße

Vorbereitung und Recherche:
Die Vorbereitung einer Verlegung ist aufwendig und erfordert intensive historische Recherche, da nur Steine für gesicherte Schicksale verlegt werden. Das bedeutet, dass der Leidensweg der Personen ab dem Zeitpunkt der Vertreibung bis zu seinem traurigen Ende ununterbrochen nachvollziehbar und mit Dokumenten belegbar sein muss. In Heidenrod engagierte sich der Heimatverein Heidenrod e.V., insbesondere der Vorsitzende Ralf Schmidt, intensiv darum, die Lebensgeschichten der betroffenen Personen zu rekonstruieren.
Der Heimatverein Heidenrod e.V. forscht und recherchiert bereits seit vielen Jahren zu den Schicksalen Heidenroder Jüdinnen und Juden. Im Heimat- und Kulturhaus Kemel ist hierzu eine Dauerausstellung zu besichtigen. Auch zur ehemaligen Synagoge hat der Heimatverein Heidenrod bereits vor einigen Jahren die Broschüre „Die Synagoge in Laufenselden“, erstellt von der Forschungsgemeinschaft Jüdische Geschichte Laufenselden-Kemel im Heimatverein Heidenrod e.V., veröffentlicht. Diese kann über den Heimatverein Heidenrod erworben werden.
Vorangegangen waren bereits Bemühungen der Evangelischen Kirche Kemel-Springen, sowie des Ortsbeirates Kemel aus dem Jahr 2019, welche allerdings durch verschiedene organisatorische Veränderungen zunächst zurückgestellt werden mussten. Die aktuelle Initiative in Heidenrod-Laufenselden wurde durch die Kontaktaufnahme einer direkten Nachfahrin aus Laufenselden vertriebener und ermordeter Jüdinnen und Juden, Frau Carola Ehrenfeld, Aachen, an den Ortsbeirat Laufenselden, sowie Bürgermeister Diefenbach, ins Leben gerufen. Die 1 ½ jährige Vorbereitung wurde umgehend angestoßen, sodass wir nach Beginn des Prozesses Ende 2023 nun im Frühjahr 2025 die Steine verlegen durften.

Die Verlegung:
Am 02. April 2025 wurden die Stolpersteine feierlich verlegt, nach der morgendlichen Begrüßung im ev. Gemeindehaus begaben sich die etwa 60 Teilnehmenden auf den Rundgang zu den insgesamt 4 Verlegestellen. Bürgermeister Diefenbach richtete zu Beginn eine kurze Ansprache an die Anwesenden.
Auszug aus der Rede Bürgermeister Diefenbach: „Mit den Stolpersteinen geben wir heute Namen und Geschichten zurück – an Menschen, die einst hier lebten, Teil unserer Gemeinschaft waren, Nachbarn, Kolleginnen, Kinder. Sie wurden entrechtet, vertrieben, ermordet – nicht irgendwo, sondern von hier aus, mitten aus unserem Ort.

Bürgermeister Diefenbach und die Teilnehmenden bei der Verlegung in der Dammstraße

Diese kleinen Steine im Boden sind kein Schlussstrich, sondern ein Anfang: ein sichtbares Zeichen unserer Verantwortung. Sie fordern uns auf, hinzuschauen, nachzudenken und für eine Gesellschaft einzustehen, in der Ausgrenzung, Hass und Antisemitismus keinen Platz haben – nie wieder.“
Eine Schweigeminute und das Niederlegen des Trauerkranzens der Delegation aus Wissous bildeten den Abschluss der offiziellen Verlegung. Bürgermeister Florian Gallant, Wissous, richtete ebenfalls eine Ansprache an die Teilnehmenden. Ein freier Auszug aus seiner Ansprache: „Ich bin heute hier, weil unsere Partnerschaft nicht nur durch Kultur und Austausch lebt, sondern auch durch gemeinsames Erinnern. Die Verlegung dieser Stolpersteine ist ein Zeichen dafür, dass wir gemeinsam Verantwortung für die Geschichte übernehmen – über Ländergrenzen hinweg. Wir ehren die Opfer, damit ihr Schicksal nicht vergessen wird, und wir setzen gemeinsam ein Zeichen für Menschlichkeit, Erinnerung und Versöhnung.“


Neben den Stolpersteinen galt das Gedenken am 02. April 2025 auch der ehemaligen Synagoge in der Kastellstraße, die während der Novemberpogrome 1938 geschändet und kurz darauf vollständig zerstört wurde. Heute erinnert an ihrer Stelle eine Gedenktafel (Aufgang Treppe) – möglicherweise oft übersehen im Alltag, doch an diesem Tag ein wichtiger Teil des kollektiven Erinnerns.

Der Kopfstein für die Synagoge in der Kastellstraße

Eine Konfirmandengruppe legte auch hier, wie an jeder Verlegestelle, weiße Rosen nieder und die heutige Eigentümerin, Frau Dr. Kirstin Samstag, erläuterte wie es sei, am ehemaligen Synagogenstandort zu leben. Die verschiedenen Redebeiträge führten auch hier die Wichtigkeit des Erinnerns aus, denn die Zerstörung der Synagoge als zentrale Rolle im religiösen und kulturellen Leben der jüdischen Gemeinden setzte seinerzeit ein überaus deutliches Signal.
Verlegt wurden die Stolpersteine eigens durch den Künstler Gunter Demnig, welcher sich insbesondere beim Team des Bauhofs Laufenselden für die gute Vorbereitung bedankte.

Die Teilnehmenden wurden im Anschluss zum offiziellen Teil in das evangelische Gemeindehaus eingeladen. Dort wurde ein Ausschnitt eines Interviews mit Herrn Kurt Ehrenfeld gezeigt, welcher in Argentinien überlebte und seine Eltern, wie auch Tante und Onkel, verlor. Er berichtete über die Zeit in Laufenselden, die Zeit der NS-Diktatur und auch, dass er trotz allem Laufenselden immer als seine Heimat ansah, gar zeitlebens stets vermisste. Noch heute (Interview aus den 90er) teilte er herzerwärmende Geschichten, bspw. von der befreundeten Pfarrersfamilie Donsbach aus Laufenselden, die auch in schweren Zeiten immer zu seiner Familie hielt, wo andere sich längst abwendeten. Damit riskierten sie nicht weniger als ihr Leben, ein Zeichen der Menschlichkeit in dieser dunklen Zeit.

Postkarte aus dem Nachlass der Familie Ehrenfeld


Absender: Julius Ehrenfeld, Wiesbaden, adressiert an den Sohn Kurt Ehrenfeld, Argentinien. abgestempelt in Wiesbaden am 27.8.1942

Text auf der linken Seite: Mein lieber Kurt, ich hoffe doch, dass du diese Nachricht so vernünftig auffasst wie auch wir. Gott kann uns überall beschützen. Senta wird es am schmerzlichsten sein. & wie beruhigt es uns, dass ihr 3 (gemeint sind die Kinder, die in den USA und Argentinien überlebten) fort seid. Du lieber Kurt bist doch noch in deiner alten Stelle. Hörst du ab und zu etwas von Neumeyers, Grüße sie gelegentlich, die Eltern hatten nochmal Glück. Doch in Gemeinschaft lässt sich alles ertragen und wir hoffen trotz alledem noch zu unseren Kindern zu kommen. Auf Wiedersehen mein lieber Junge. Sei herzlich geküsst von deiner Mutter. Die liebe Tante und Onkel lassen grüßen.


Wir gedenken unseren ehemaligen Nachbarn und Mitmenschen:

Rudolf-Dietz-Straße 8,

Julius Ehrenfeld, geb. 1872, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 19.11.1942
Karoline Ehrenfeld, geb. Plaut, geb. 1881, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 13.04.1943

Rudolf-Dietz-Straße 9,

Siegmund Ehrenfeld, deportiert 1942 nach Treblinka, ermordet
Johanna Ehrenfeld, geb. Katzmann, geb. 1872, deportiert 1942, ermordet

Dammstraße 17

Dr. Alfred Goldschmidt, geb. 1886, 1938 in „Schutzhaft“ genommen im KZ Buchenwald,
1938/1943 unfreiwillig verzogen, überlebt
Maria Goldschmidt, geb. Kessler, geb. 1891,1938/1943 unfreiwillig verzogen, überlebt


Am Abend fand dann die Rahmenveranstaltung der Stolpersteinverlegung im Barockhaus Laufenselden statt. Diese stand ganz im Zeichen jüdiscer Kultur und Geschichte mit besonderem Augenmerk auf die Schicksale der Opfer des NS-Regimes.

Carola Ehrenfeld bei ihrer Ansprache im Barockhaus neben Jens Barnieck


Das Rahmenprogramm vereinte unter der Moderation von Prof. Klaus Werk, Vorsitzender der Kulturvereinigung Heidenrod, die musikalischen Darbietungen jüdischer Klavierstücke, ergreifend vorgetragen durch den Künstler Jens Barnieck mit Vorträgen zur jüdischen Vergangenheit in Heidenrod und der Region des Vorsitzenden des Heimatvereins Heidenrod, Herr Ralf Schmidt, sowie der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen, Frau Dr. Christiane Heinemann, Dr. Hartmut Heinemann und Dr. Volker Eichler. Es war ein Abend voller Eindrücke, der die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlug – eindrucksvoll und emotional.

Die Bedeutung des Gedenkens:
Die Stolpersteine sind mehr als nur Gedenkobjekte – sie fordern zur Auseinandersetzung mit der Geschichte auf. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, lautet das Leitmotiv des Projekts. Durch die Verlegung wird Geschichte lokal greifbar – als Mahnung gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Ausgrenzung.

Ausblick:
Eine weitere Verlegung von Stolpersteinen in Heidenrod-Kemel ist angedacht, sollte jedoch erst nach Ende der verschiedenen Arbeiten im Ortsbereich konkretisiert werden.

Was sind Stolpersteine?

– Idee von Künstler Gunter Demnig (seit 1992)
– Messingtafeln im Gehweg
– Verlegt vor dem letzten selbstgewählten Wohnort
– Mehr als 100.000 Steine in 30 Ländern
– mehr Informationen: https://www.stolpersteine.eu/

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für die umfangreiche Leistung der vergangenen 1 ½ Jahre. Nur durch die enge Zusammenarbeit von Gemeinde, Kulturvereinigung, Heimatverein, Kirchengemeinden, Ortsbeirat und privaten Unterstützern aus Heidenrod und auch aus Aachen konnten wir der Veranstaltung den angemessenen Rahmen bieten.
Ein besonderer Dank gilt weiter auch den Anwohnern und Anwohnerinnen, den Konfirmanden und allen Gästen, die durch ihre Anwesenheit und Anteilnahme gezeigt haben, dass die Namen, die in Stein verewigt wurden, nicht vergessen sind und auch nie werden. Durch ihr aller Mitwirken wurde die Erinnerung würdevoll und spürbar – im Herzen des Alltags, auf unseren Wegen, in unserem Bewusstsein.

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